Warum stehen eigentlich Ochs und Esel an der Krippe? Hätten nicht auch andere Tiere diesen Ruhm verdient, jedes Jahr in der Advents- und Weihnachtszeit neben dem Christuskind abgebildet zu werden? Es hätten doch auch ein Pferd und eine Ratte sein können, die ebenfalls in Ställen zu finden sind. Oder ein Schaf und eine Ziege. Doch ausgerechnet ein Ochse und ein Esel haben es geschafft, und ohne sie kommt keine traditionelle Krippe aus. Wer waren die beiden? Lassen Sie uns für einen Moment fiktiv, phantasievoll zurückreisen in jene Nacht, in der Maria und Josef keine Herberge fanden, als Ochs und Esel ihre wahre Bestimmung fanden:
Der Ochse Konstantin und der Esel Thaddäus waren nämlich ziemlich überrascht und etwas verärgert, als sie zu später Stunde noch von zwei Menschen aus ihrem Schlummer gerissen wurden. Es war ein anstrengender Tag gewesen: Für Thaddäus mehr als für Konstantin, darauf bestand er. Schließlich waren die Tage der Ernte längst vorüber und seitdem war Konstantin doch nicht mehr richtig ausgelastet. Er hingegen musste den ganzen Tag über das Gepäck der Reisenden von dem Karawanenplatz zur Herberge tragen. Was die Leute so alles mitnehmen, wenn es doch bloß um eine Volkszählung geht. Er schnaubte. Und dann konnte er noch nicht einmal die nächtliche Ruhe genießen und ein paar Stunden ausspannen, bevor es morgen wieder los ging mit der Plackerei. Diese beiden Ruhestörer sollten nun bei ihnen übernachten. Hatten wohl nicht genug Geld für ein ordentliches Menschenzimmer oder waren zu spät dran. Es war ja viel Volk unterwegs zurzeit. Das sagte ihm auch sein Rücken.
Doch wer waren diese zwei? Sie sahen ziemlich müde aus. Und die Frau war hochschwanger. Da bekamen die beiden Tiere doch Mitleid und machten bereitwillig Platz, gaben ihnen gar ihr feinstes Stroh als Behelfsbett. Doch damit war die Nacht noch längst nicht zu Ende. Sie sollte noch zu der Nacht werden, die die beiden nie vergessen würden. Denn als die Frau sich niederlegen wollte, kam sie in die Wehen. Konstantin und Thaddäus wollten die beiden Menschen gerne unterstützen und konnten doch nichts anderes tun, als still dazuliegen und beruhigend an einem Strohhalm zu nagen, bis das kleine Menschenkind das Licht der Welt erblickte.
Ochs und Esel waren beinahe erleichtert, als das erste Geschrei des Neugeborenen verstummte und dann ein bisschen stolz, dass in ihrem Stall ein Kind geboren wurde: So viel Menschliches in ihrer Tierwelt! Sie beobachteten erstaunt den Mann, der freudestrahlend das Kind in Windeln wickelte und in die dargebotene Krippe legte. Vergessen waren die alltäglichen Mühen, als sie dieses Kind sahen, für das die Engel sangen und die Weisen Geschenke brachten. Sie beide, Konstantin und Thaddäus, hatten wahrlich Bedeutsames miterlebt.
So kann es sich ereignet haben. Wer weiß schon Genaueres? Alternativ gibt es auch die folgende Erläuterung: Der Esel als das dienende Begleittier des Nikolaus und Symbol für die Demut Jesu und der Ochs als das typische Opfertier und damit ein Fingerzeig auf die Kreuzigungsgeschichte. Und auch der Prophet Jesaja schrieb zu diesen beiden Tieren: Der Ochse kennt seinen Besitzer und der Esel die Krippe des Herrn. So oder so. Die beiden traditionellen Stalltiere werden noch lange ihren Platz an der Krippe finden.
Julia Tacke