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Eine Ära geht zu Ende

Porträtfoto Waltraud Mertens
Waltraud Mertens, Foto: M. Röhm
"Was wir gemeinsam als Team erreicht haben, erfüllt mich mit Stolz und Zufriedenheit." - Nach 43 Jahren beendet Waltraud Mertens ihren Dienst.

Am 1. September 1976, begann Waltraud Mertens im Kindergarten und Hort der Lukaskirchengemeinde Bonn. Acht Jahre später, am 1. August 1984, übernahm sie die Leitung. Zum 1. August wird sie nun das Evangelische Familienzentrum und Kindertagesstätte „Der kleine Lukas“ verlassen, denn der nächste Lebensabschnitt, der Ruhestand, steht vor der Tür.

Lesen Sie hier, was Frau Mertens in über vier Jahrzehnten alles erlebt, mitgestaltet und geprägt hat. Das Gespräch führte Margrit Röhm.

Lukas: Weshalb haben Sie sich vor über 40 Jahren dazu entschlossen, Erzieherin zu werden?

Waltraud Mertens: Ich wollte immer mit Menschen arbeiten und am spannendsten finde ich nach wie vor die Arbeit mit Kindern. Es hat mich schon immer fasziniert, zu sehen, wie sie groß werden, wie sie sich entwickeln und die Welt entdecken. Das zu begleiten und zu unterstützen war mein größter Wunsch.

Lukas: Was waren in dieser langen Zeit Ihre Hauptstationen?

Waltraud Mertens: Das erste Jahr gehörte noch zu meiner Ausbildung. Ich absolvierte im Lukaskindergarten mein Anerkennungsjahr und übernahm danach als Erzieherin die Leitung einer Hortgruppe. Das hieß, die sechs bis 14-jährigen Kinder zum Teil vor und vor allem nach der Schule zu betreuen, denn die Einrichtung war von 7:15 Uhr bis 17:30 Uhr geöffnet. Neben der Schulaufgabenbetreuung stand auch die Freizeitgestaltung wie Sport und Basteln zur Förderung der Kreativität auf dem Plan. Damals hat man eine Gruppe allein geleitet und wurde höchstens von einer Praktikantin unterstützt. Die Arbeitsbedingungen waren im Vergleich zu heute ganz andere.

Die zweite Station war dann die Übernahme der Leitung der gesamten Einrichtung, wobei ich als stellvertretende Leitung bei der damaligen Leiterin, Frau Hülle, wichtige Erfahrungen sammeln konnte. Die Leitung war eine spannende Aufgabe und herausfordernd zugleich. Spannend, denn ich konnte die Arbeit gestalten und pädagogische Schwerpunkte setzen, parallel war ich noch viel in die praktische, tägliche Betreuung eingebunden, denn die personelle Ausstattung war knapp bemessen.

Das zweigleisige Arbeiten war nicht immer einfach, doch wegen fehlender Besetzung wurde ich nachmittags einfach in der Schulbetreuung gebraucht. Das änderte sich mit dem ersten Kindergartengesetz, das Anfang der 80iger Jahre des vergangenen Jahrhunderts verabschiedet wurde. Der Bildung wurde generell ein höherer Stellenwert eingeräumt und die Bildung im Elementarbereich, d.h. im Kindergartenalter, wurde ebenfalls diskutiert.

Lukas: Weshalb ist der Anspruch an Erzieherinnen und Erzieher so hoch? Als Mitglied des Personalausschusses des Presbyteriums hat mich das bei Vorstellungsgesprächen für den Kindergarten und Hort immer wieder beeindruckt.

Waltraud Mertens: Der Anspruch muss hoch sein, denn Tageseinrichtungen für Kinder leisten bei der Entwicklung der Kinder unterstützende und ergänzende Arbeit und haben auch die Möglichkeit, Schwerpunkte zu setzen und zu fördern. Sie erfüllen somit eine wichtige gesellschaftliche Aufgabe. Das Verständnis bezüglich Entwicklung und Lernen der Kinder hat sich Anfang der 90iger Jahre grundlegend geändert. Waren wir, die Erzieherinnen, Impulsgeber eines ergebnisorientierten Lernens wie zum Beispiel ein Bild zu malen, trat jetzt das Kind in den Mittelpunkt und bestimmte seine Lerngeschichte. Dieses veränderte pädagogische Grundverständnis ging auch auf Ergebnisse in der Hirnforschung zurück. Man erkannte, dass jedes Kind eine eigene Thematik mitbringt. Entscheidend war nun, wofür es sich interessierte, wie engagiert es Dinge tat. Diese pädagogische „Revolution“ hat die Bildungslandschaft grundlegend verändert. Bewegungen wie die Kinderläden, Ende der 60iger Jahre zeigten Ansätze dieses Lernverständnisses.

Lukas: Was hat Ihnen am meisten Spaß gemacht?

Waltraud Mertens: Die Freizeiten mit den Hortkindern in Ehlscheid im Westerwald und die Waldwochen, die wir seit vielen Jahren durchführen. Ebenso die Begegnungen mit den Kindern auf Augenhöhe, die Gespräche mit ihnen, das gemeinsame Tun und deren Entwicklungsschritte wahrzunehmen. Ich philosophiere auch gerne mit den Kindern nach dem Motto: was wäre wenn ... Das sind schöne und vor allem bleibende Erlebnisse.

Lukas: Organisationen sind einem ständigen Wandel unterworfen. Welche Veränderung war für Sie am gravierendsten?

Waltraud Mertens: Ohne Zweifel der Umbau der Einrichtung vor gut zehn Jahren. Das Kinderbildungsgesetz aus dem Jahr 2008 hat den Betreuungsplatz für unter 3-jährige gesetzlich verankert. Zudem wurde die Einrichtung zu einem Familienzentrum erweitert. U3-Einrichtung und Familienzentrum zu sein bedeutete, sich auf die Gruppe der Kleinkinder mit ganz anderen Bedürfnissen einzustellen, Bildungs- und Entwicklungsschritte wie Sprachbildung schriftlich festzuhalten. Waren bisher die Kontakte zu Eltern individuell entstanden, so sind sie heute offizieller Bestandteil der Arbeit, zum Beispiel wird einmal pro Monat Erziehungsberatung angeboten. Um den neuen Anforderungen gewachsen zu sein, war eine mehrtägige U3-Teamfortbildung unerlässlich. Das Team setzt die pädagogischen Ziele um und gestaltet Lernprozesse. Deshalb empfand ich die Arbeit mit dem Team immer als große Herausforderung. Zusammen Ziele zu haben, gemeinsam etwas zu erreichen. Und wir haben so viele Dinge
erreicht, das erfüllt mich mit Stolz und Zufriedenheit.

Lukas: Können Sie sich an ein Ereignis besonders erinnern?

Waltraud Mertens: An die Umgestaltung des Außengeländes zusammen mit den Eltern und Kindern. Das war Ende der 90iger Jahre und hatte zweierlei zum Ziel. Einerseits aus dem flachen und zubetonierten Außengelände naturnahe Spielräume zu gestalten und gleichzeitig einen Lebensraum für heimische Insekten und Tiere zu schaffen. Dies setzte die Auswahl entsprechender Hölzer, Sträucher und Blumen voraus. Andererseits für die Kinder Nischen zu schaffen, in denen sie sich verstecken und auch einmal unbeobachtet sein konnten.

Diese Umgestaltung ist ein Beispiel dafür, wie der konziliare Prozess "Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung", mit dem sich die Kirchen in den 90iger Jahren auseinandergesetzt haben, praktisch gelebt werden kann. Vor dem Hintergrund des inzwischen zunehmenden Insektensterbens war das damals, vor 20 Jahren, ein zukunftsweisendes Projekt.

Das zweite besondere Ereignis war natürlich die Umstrukturierung zur U3-Einrichtung. Diese Veränderungen hat Ulrich Thomas, ehemaliger Gemeindepfarrer jetzt i. R., intensiv mit begleitet.

Lukas: Was wünschen Sie der Lukaskirchengemeinde?

Waltraud Mertens: Einen guten Blick für die Menschen, die in der Gemeinde leben, sie in ihrer Lebenssituation zu unterstützen und zu fördern. Die Generationen übergreifenden Angebote sollten stärker ausgebaut werden, denn da liegt viel Potential. Ich weiß das aus eigener Erfahrung, denn zu bestimmten Anlässen gibt es Begegnungen zwischen Kindern, Seniorinnen und Senioren: beim gemeinsamen Basteln in der Weihnachtszeit oder beim gemeinsamen Singen. Beide Seiten nehmen aus diesen Treffen bereichernde Impulse mit. Die soziale und diakonische Arbeit, ein Pfeiler der Gemeindearbeit und Bestandteil des Leitbildes, sollte beibehalten werden.

Lukas: Konnten Sie etwas lernen, das Sie gerne in den neuen Lebensabschnitt mitnehmen?

Waltraud Mertens: Offen sein, Neugierde, Mut zum Ausprobieren, Veränderungen wagen, aber auch Altes bestehen lassen. Sonst nimmt man sich Lebensfreude und steht sich selbst im Weg für Neuentdeckungen.

Lukas: Worauf freuen Sie sich besonders für die Zeit nach der Berufstätigkeit?

Waltraud Mertens: Meine Zeit selber einteilen und vor allem spontan entscheiden zu können, heute gehe ich wandern oder setze mich aufs Fahrrad. Einen Hauch dieser Freiheit durfte ich schon schnuppern. Als ich kürzlich mein Patenkind in Köln besuchte, ergab sich ganz beiläufig die Gelegenheit, Ende September mit nach Prag zu fahren. Ich konnte sofort zusagen, ohne zuvor in den Dienstkalender zu gucken und mich mit Kolleginnen abstimmen zu müssen. So macht der bevorstehende Lebensabschnitt Spaß und Freude und bietet ganz neue Möglichkeiten, die es zu nutzen und zu genießen gilt.

Die Lukaskirchengemeinde dankt Waltraud Mertens für die Einblicke in ihre vielfältige und spannende Arbeit und wünscht ihr für die Zukunft alles, alles Gute.